INTERVIEW MIT BIRGIT SONNA

Make it newer!

Ein Gespräch zwischen Birgit Sonna und Janina Roider über ihre hybriden Traumwelten

Birgit Sonna: Wie kam es denn zu der fulminanten Schaumgeborenen in deinen neuen Bildern? Dem Eyecatcher nach zu urteilen könnte man meinen, dass du ein großer Fan von Botticelli bist.

Janina Roider: Eigentlich nicht! Es tauchen zwar in den Bildern immer wieder Zitate aus dem Kunstkanon auf, aber zugleich auch Motive aus meiner persönlichen Lebenswelt. So entsteht eine Melange aus verschiedensten Bereichen, aus high and low. Im Prinzip nutze ich die Venus nur wie eine Schablone. Die Schaumgeborene ist eine echte Celebrity in der Kunstwelt — sie hat so große Bekanntheit erlangt, dass selbst jeder Kunstbanause sie kennt. Natürlich möchte ich möglichst viele Menschen mit meinen Bildern ansprechen, dabei ist ein hoher Wiedererkennungswert unabdingbar. Botticellis Venus hat per se keinen inhaltlichen Hintergrund für mich, sondern es geht mir vielmehr darum, das schwere Erbe der Kunstgeschichte ein bisschen mit Leichtigkeit zu versehen.

Das Ikonische der Venus Pudica lässt sich dennoch nicht ganz abstreifen. Gegen den Strich feministisch gelesen, strahlt sie so etwas wie weibliche Souveränität aus.

Zugegeben, so gut wie alle meine Bilder enthalten Varianten von Selbstporträts. Als ich mit den ersten Bildern der neuen Serie begann, spielte ich mit der Idee, dass man sieben Leben haben könnte, wie es der Volksmund der Katze nachsagt. Für mich verbindet sich damit eine idealisierte Vorstellung von Leben. Mein Anliegen rührt daher, dass ich mir wünschte, der Tag hätte mehr als nur 24 Stunden. Ich liebe das Künstlerdasein und möchte es zu 100 Prozent ausfüllen – einerseits. Andererseits fände ich es traurig und absurd, das echte Leben aus künstlerischer Passion heraus völlig zu negieren. Surfen, Musik machen, Klettern, genauer gesagt Bouldern machen für mich auch wichtige Aktivitäten aus, die ich nicht total wegen der Künstlerkarriere unterdrücken will. Zudem bekommt man über die sozialen Medien wie Instagram vorgespielt, wie manche Menschen bis in ihre Freizeit hinein alles bis zur Perfektion beherrschen. Der Selbstoptimierungsplan sieht vor, dass man tagsüber erfolgreich sein Business betreibt, abends noch einen Yoga- oder Sportkurs belegt, sich gesund ernährt und keinesfalls irgendwelche Laster hat.

Welche Role Models spielst du denn in deinen Bildserien durch?

Zum Beispiel die Surferin, Super Woman, das Playmate…

Dass letztere Sehnsucht in dir schlummert, wusste ich noch gar nicht.

Natürlich ist da auch viel Selbstironie mit im Spiel. Die Frauen in meinen Bildern entsprechen meist dem aktuellen Körperkult. Manchen habe ich sogar Sixpacks aufgemalt. Wer hätte nicht gerne einen durchtrainierten Körper? Und wer mich kennt, weiß, dass ich in meinem Aktionismus auch durchaus zu Übertreibungen neige. Am liebsten wäre ich 20 Stunden am Stück im Atelier, würde mit meinem Hund durch den Englischen Garten mit dem Fahrrad nach Hause kreuzen und dann noch 10 Stunden dies und das an Sport treiben. Mir ist es wichtig, dass die Bilder auch etwas Humorvolles oder mehr noch etwas Verspieltes bekommen. Dennoch kann man beim Betrachten zu einer tieferen Ebene gelangen und dort, wo Virtuelles und Realität auf einer hybriden Ebene verschmelzen, Ungeahntes entdecken – inhaltlich wie formal.

Wie verläuft der Entstehungsprozess der neueren Malereien genau? Wie kommst du zu den digitalen Vorlagen? Ich nehme an, dass die Auslese aus einem Pool von fotografischen Motiven sehr wichtig ist.

Es ist wie eine Mixtur: Etliche Motive entstehen aus der Erinnerung, andere nach zeichnerischen Vorlagen, aber ich arbeite zugleich viel mit Fotos. Es gibt mittlerweile ein großes Archiv, in das kontinuierlich neue Bilder aufgenommen werden, die mir ins Auge gestochen sind. Die neueren Arbeiten sind digital gemalt, es werden davon Drucke hergestellt und diese dann in einem weiteren Procedere wieder manuell bemalt. Ich arbeite fast ein bisschen altmeisterlich, würde ich behaupten. Ich fange mit meinen Zeichnungen auf Papier an, die ich dann digitalisiere, das ist quasi schon die erste Schicht. Dann werden immer mehr Schichten aufgebaut: Ich reagiere auf den laufenden Prozess am Rechner. Zur Zeichnung kommt die Farbigkeit, dann die Komposition und die hineinmontierten Fotos, die wiederum verändert werden und gerade in den neueren Bildern Bezüge zum Kunstkanon schaffen. Es ist ein fast intuitives Vorgehen, im Malprozess entsteht die schrittweise Kontextualisierung.

Es ziehen sich thematische Fäden wie ein Narrativ durch die verschiedenen Zyklen. Was ist für dich dabei prägend?

Man sieht den neueren Bildern vielleicht an, dass ich immer mehr von meiner aktuellen Lebenswelt motiviert bin, weil viele Arbeiten auch auf Reisen entstehen. Es wird ein ziemlich idealisiertes Leben gespiegelt: ein Leben, das größtenteils an einem fiktiven Strand stattfindet, wo man zugleich arbeiten und surfen kann. In der Tat werden viele Bilder zumindest in ihrem ersten Stadium schon unterwegs angegangen. Ich mache auf Reisen zahlreiche Skizzen und Fotos, zeichne schlichtweg auf Papier und später erst fange ich dann an, diese Zeichnungen zu digitalisieren.

Obwohl deine jüngeren Entwürfe in Frankreich an der Atlantikküste entstanden sind, vermitteln die Bilder atmosphärisch mit ihren Palmen und Blumen ein Inselgefühl, wie man es vielleicht mit den Bahamas verbindet. Es wirkt von der Stimmung so, als würde einem gleich ein Drink wie in der Bacardi-Werbung gereicht werden. Offenbar bist du von der Werbeästhetik, Plakaten im öffentlichen Raum und ihren Suggestionen nicht unbeeinflusst.

Das stimmt! Der Zyklus mit der Schaumgeborenen im Zentrum etwa ist auch im Nachklang an eine Serie für Berlin entstanden, als ich letztes Jahr in einem Off-Space Zitate von dortigen Bauzäunen verwandte. In dieser Arbeit habe ich mehr oder weniger konkret mit der Werbeästhetik gespielt, als im Breitwandformat eine Installation realisiert wurde, in der erstmals Malerei als reiner Druck zu sehen war. Das Digitale ist schließlich immer mehr Bestandteil meiner Arbeit geworden. Der Grund für diese Präsentation: Die Galerie war am Potsdamer Platz, dort wo Berlin urban schon etwas kippt zwischen einem Ost-West-Gefälle. Man hat einerseits den schicken Potsdamer Platz und dann um die Ecke eine Pop-up-Galerie in einem verlassenen Laden, wo früher vielleicht einmal ein Schlecker-Drogeriemarkt war. Berlin hat für mich immer etwas von einer Baustelle. Und ich wollte dieses Baustellenhafte in die Galerie hineinprojizieren, indem ich mit der Werbeästhetik gearbeitet habe, wie sie an Bauzäunen fungiert. Da haben die Werbeflächen an sich etwas Reißerisches, spiegeln etwa ein Urlaubsgefühl hart an der Kitschgrenze. Man fühlt sich in meiner Malerei angesichts der nackten Haut und entblößten Brüste vielleicht auch an einen kinky Thailand-Urlaub erinnert. Doch im Unterschied zur Werbeästhetik ist meine Malerei ungleich detaillierter und facettenreicher. Mir geht es schon darum, dass man genau hinschaut und viele malerische Nuancen oder auch Auslassungen entdeckt.

Man kann sich in deine Traumwelten leicht hineinkatapultieren. Weil die Malerei etwas sehr Flirrendes hat, ist zugleich aber das Klischeehafte geschickt umschifft.

Allein schon durch den Herstellungsprozess entsteht eine gewisse Leichtigkeit. Man sieht etwa Zeichnungen an der Oberfläche, erkennt aber nicht, was an ihnen manuell oder digital hergestellt ist. Und dann scheinen Reste von Ebenen auf, die größtenteils wieder unter anderen Malschichten verschwunden sind. Es entlarvt sich punktuell ein wenig die Technik. Je mehr man sich in den Bildern verliert, desto mehr Motive erkennt man. So lässt sich etwa eine abstrakt erscheinende Farbfläche als Hängematte identifizieren. Ich versuche eine Art Egalisierung zu erreichen, sodass man prima vista nicht mehr differenziert zwischen dem digitalen Zeichnen und Malen, sondern dass diese Gegensätze in sich zusammenfallen und die Bilder etwas sehr Offenes bekommen.

Erkennst du immer den Punkt beim Malen, wenn du aufhören musst? Bekanntlich lauert die Gefahr des ‚Zermalens‘ gerade dann, wenn man in so vielen Schichten arbeitet.

(Lacht) Ja, das könnte leicht schiefgehen. Mir hilft es sehr, dass ich an vielen Bildern parallel arbeite, weil ich dadurch einen Abstand zu den Kompositionen gewinne. Von Vorteil war, dass ich in letzter Zeit auch sehr viel seriell gemalt habe, wie etwa die Reihe der Super Woman. Gerade beim zyklischen Arbeiten achtet man noch viel mehr darauf, dass jedes Werk seine eigene Bildsprache bekommt und durch den Vergleich vermeidet man auch das „Totmalen“.

Sonderst du auch Bilder aus, weil sie nicht mehr die nötige Durchlässigkeit haben?

Es gibt offene Baustellen, salopp gesagt. Wenn ich merke, dass die Bilder in einem Stadium sind, in dem ich im Moment nicht weiterkomme, stelle ich sie für eine Weile beiseite. Tatsächlich kommt das in letzter Zeit kaum mehr vor, denn durch die Arbeit am Computer tun sich unglaubliche Vorteile auf. Ich vergleiche das digitale Malen oft mit dem Einstudieren einer Choreografie, die ich dann auf die Leinwand bringe. Das Programm Corel Painter ist so avanciert, dass es auf alles prompt reagiert, also nicht nur auf den Druck des virtuellen Pinsels, sondern auch auf dessen Neigung. Man kann genau bestimmen, wie lange die Farbe läuft und sie auch abrupt stoppen. Dieses High- End‑Malprogramm birgt natürlich auch die Gefahr der Unendlichkeit von Experimenten, während etwa ein Hockney mit sehr limitierter Farbpalette, nur mit einem Pinsel, Bleistift und Radiergummi gearbeitet hat.

Wobei Hockney mittlerweile auch mit dem iPad malt.

Aber er benutzt ein ganz spartanisches Programm, ich habe mich auch schon darin versucht. Ich denke immer wieder: Wenn Warhol unsere heutigen Techniken gehabt hätte, wäre er wahrscheinlich völlig ausgeflippt, weil man heute problemlos Drucke herstellen kann, die wie ein Siebdruck aussehen. Aber auch alle anderen Druckverfahren kann man simulieren. Letzteres birgt wie gesagt auch eine Gefahr, mittlerweile sitze ich tatsächlich 60 Prozent am Rechner und viel weniger Zeit vor der Leinwand. Früher habe ich viel intuitiver gearbeitet, durch das Arbeiten am Rechner verändert sich das Denken beim Malen. Die Crux ist es, ein Gleichgewicht aus technischer Perfektion und natürlicher Fehlerhaftigkeit herzustellen. Auch die Frage nach Authentizität kommt durch dieses Verfahren auf. Es war ein längerer Prozess bis ich erkannte, dass das digitale Malen gleichwertig mit dem analogen ist und beide Hand in Hand laufen.

Hast du dich jemals mit Picabia beschäftigt? Nicht nur seine Transparence-Technik, sondern auch das Changieren zwischen dem Trivialen und Konzeptuellen sind gemeinsame Momente zu deiner Malerei.

Dieser Punkt ist spannend, wobei ich zugeben muss, dass mir Picabia nicht sehr vertraut ist. Ich habe in dem Twist zwischen Trivialität und Konzeptualität dennoch konkrete Vorbilder: Warhol, Jeff Koons, Albert Oehlen und vor allem auch Michel Majerus finde ich hier herausragend. Und an Günther Förgs Kunst mochte ich immer gerne, dass in seinen Arbeiten auch dieses Lässige zu finden ist.

Wenn ich nicht wüsste, dass du in der Münchner Akademie in der Förg-Klasse warst, würde ich den Einfluss nicht unbedingt erkennen.

Das ist doch gut!

Was verbindet dich mit Förg genau genommen?

Seine Malereien, aber selbst seine bleischweren Skulpturen hatten eben diese spezifische Leichtigkeit. Er ging mit fast jedem Material zeichnerisch um, war dabei sehr frech. Günther hat immer Gegensätze geschaffen. Er hat sich zwar ausgiebig beim Kunstkanon bedient, aber ihn zugleich von dessen Psychologismen, diesen ganzen aufgeladenen Dingen befreit.

Wobei Günther Förg nicht gegenständlich in seiner Kunst war – einmal abgesehen von seinen skulpturalen Masken und den Schwarz-Weiß-Fotografien. Du wiederum benutzt unverhohlen figurative Facetten. Wie hat Förg das aufgenommen? Hat er dich bestärkt oder dir eher abgeraten?

Da muss ich etwas ausholen: Ich habe lange Zeit an der Münchner Akademie fast ausschließlich Porträts in expressiver Manier gemalt. Und dann kam ich durch ein Stipendium zum Studium für ein Jahr nach Glasgow an die School of Art. Und dort wurde ich sofort in eine Schublade gesteckt: Als typisch deutsche Malerei der Achtziger im Sinne der Neuen Wilden hat man meine Malerei etikettiert. Das brachte mich zum Nachdenken, Revidieren und meine Bilder wurden in der Folge immer abstrakter und ich habe angefangen, Ikonen wie Schablonen zu benutzen. Die Porträts wurden nur noch eingesetzt als Schablonen, sie hatten auch keine Bildtitel mehr. Das Interessante war, dass Günther ohnehin immer nur abstrakte Malerei in meinen Bildern gesehen hat. Er hätte etwa nicht eine Hängematte identifiziert, sondern nur Streifen, die sich überblenden, wahrgenommen. Die Motivik war ihm eigentlich scheißegal. Er hat angesichts meiner Porträts verstanden, dass es mir nicht um das Bildnis von David Bowie oder wem auch immer ging, sondern letztlich rein um die Malerei. Und dass es meine Intention ist, Menschen genauer hinschauen zu lassen und Zeit mit der Malerei zu verbringen. Oft hat man als von allen möglichen Medien überforderter Betrachter gar keine Kapazitäten mehr frei. Günthers Position war vollkommen in Ordnung für mich. Wir haben dann halt die meiste Zeit über abstrakte Bilder gesprochen und meine fand er gut.

Welche Professoren an der Akademie der Bildenden Künste haben außerdem positiv auf dich eingewirkt?

Ich habe bei Matthias Wähner angefangen zu studieren, bin erst später zu Günther, weil ich Malerei studieren wollte. Beide kannten sich auch ganz gut, haben früher angeblich mal zusammen in einer WG gewohnt. Wähner ließ mich unter der Prämisse, dass ich trotzdem noch Staatsexamen bei ihm mache, in Günthers Klasse wechseln. Rückblickend betrachtet haben mich beide Professoren beeinflusst. Wähner hat immer nur gesehen, „was auf den Bildern“ ist, nicht, wie sie gemalt wurden. Er hatte wenig Ahnung von Malerei, da er Fotograf und Medienkünstler war und auch eine Klasse für Medienkunst leitete. Ich erinnere mich gut, wie er sich immer über das „Malerchaos“ im Atelier in der Akademie aufgeregt hat. Aber ich glaube es war eine Art Hassliebe, irgendwie hat es ihn auch fasziniert. Einmal sagte er zu uns, dass er zum Arbeiten eigentlich nur einen Computer brauche. Das fand ich damals total verrückt und seltsam, mittlerweile arbeite ich selbst wahnsinnig viel mit dem Rechner.

Kommen wir kurz auf den von dir auch geschätzten Jeff Koons zurück. Er treibt die von der Werbeästhetik herrührende Vorstellung, dass Bilder catchy, perfekt sein müssen, auf die Spitze, um zu einem Wendepunkt auch im Hinblick auf Trivialität zu kommen.

Mich begeistert bei Koons vor allem die Trivialität im Kontrast zum Material, wenn es dann nicht mehr trivial ist, sondern fast etwas Dekadentes bekommt. Man nehme nur die Bronze-Skulpturen oder die Balloon-Figuren oder die Celebration-Serie: Seine Kunst ist groß, schwer, wahnsinnig beeindruckend und es gibt oft fantastische Spiegeleffekte. Erst wenn man davor steht, zieht einen das Werk physisch total in den Bann, hat aber trotzdem diese Leichtigkeit. Und Koons macht enorm viele kunsthistorische Bezüge auf. Man erkennt seine tiefe Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, aber auch, mit welchen Bildern er aufgewachsen ist, was ihn als Kind bewegt hat – seien es die Hoover-Staubsauger oder die Comicfigur Popeye. Dieser adäquat zeitgenössische Blick umfasst eine Melange aus Vergangenheit, Trivialem und vielem, was uns heute an Lebenswelt umgibt. Es ist mir total wichtig, dass man als Künstler als eine Art Seismograph seiner Zeit fungiert.

Eine etwas tiefere Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte vermisst man heute bei vielen jungen Künstlern. Derart ahnungslos kann man schwer kontextualisieren oder sich künstlerisch verorten.

Durch das Staatsexamen habe ich auch Kunstgeschichte im Nebenfach absolviert und bin ganz gut in der Materie bewandert. Ich bin der Meinung, dass man das Alphabet nicht neu erfinden muss und kann. Es ist doch geradezu dämlich, wenn man sich als junger Künstler nicht mit der Historie beschäftigt und etwas angeht, wofür andere Künstler schon längst eine Lösung gefunden haben. Schon in meiner kunsthistorischen Bachelor-Arbeit habe ich übrigens versucht, die Malerei mit ihrem sogenannten Todfeind zu konfrontieren: mit der Fotografie, aber auch mit den digitalen Geschichten, den sozialen Medien, dem Computer.

Du bist zwar jung an die Akademie gekommen, aber in die Wiege gelegt wurde dir die Kunstbegeisterung angeblich nicht. Gab es ein Erweckungserlebnis?

Ich habe Malen als Kind gehasst. Meine Schwester wollte immer malen, sie konnte es so gut und ich überhaupt nicht, mir fehlte auch die Geduld. Deswegen bin ich immer fuchsteufelswild geworden und habe dann die Malutensilien durch die Gegend geschmissen. Sicher ist Talent nicht schädlich, aber mittlerweile glaube ich gar nicht mehr an das reine „Können“, sondern vielmehr an das Training wie beim Sport. Aus der Not heraus habe ich im Gymnasium Kunst als Abiturfach gewählt, weil ich einen Mathe-Leistungskurs hatte und viele Kombinationen nicht möglich waren. Und dann hatte ich das Glück, eine sehr gute Kunstlehrerin zu bekommen, die mir vermittelt hat, dass auch beim Malen kein Meister vom Himmel fällt. Sie ist sehr pragmatisch an die Sache herangegangen und das hat mich total gepackt. Sonst hätte ich vermutlich Elektrotechnik studiert, weil mir alles Technische total gefallen hat. Früher habe ich mir sogar die Gitarrenverstärker selbst gebaut, zu der Zeit machte ich viel Musik. Die Begeisterung für Technik ist bei mir offensichtlich erhalten geblieben.

Wie wurden deine ersten rein digital produzierten Malereien überhaupt aufgenommen?

Sehr gut! Ein Sammler hat gleich den ganzen ‚Bauzaun‘ mit allem Drum und Dran gekauft. Dann kam bei mir schnell die Frage auf: Was könnte der nächste Schritt sein? Wie kann man das auf andere Medien übertragen? Schließlich habe ich hier in München einen Drucker gefunden, der im Prinzip nur mit Künstlern zusammenarbeitet und ganz hochwertige Pigmentdrucke auf verschiedenen Materialen herstellt. Und über ihn sind die ersten neuen digitalen Arbeiten auf Leinwand entstanden. Der Computer generiert sozusagen die verschiedenen Farbverläufe und es entstehen wunderbare, seidige Effekte. Ich bin ganz begeistert von der Oberfläche, man kann verschiedene Pinselstriche wie aus Kreide gezeichnet aufsetzen. Von den neuen Papierarbeiten wird es erstmalig eine Edition von 28 Unikaten geben. Die Technik ist in der Tat wie eine Art verlängerte Hand. Ich kann im Grunde in Frankreich sitzen, Plein Air-Malerei auf meinem Tablet schaffen und die Resultate gleich zum Drucker schicken – als Künstler denkt man heute viel unternehmerischer als früher. So hat sich für mich schon eine Art von Traum realisiert, weil ich mich über die Immobilität, darüber, dass man als Künstler an ein Atelier gebunden ist, immer geärgert habe. Ich wollte eine größere Freiheit haben. Der Wechsel zwischen dem ‚dreckigen‘ Herstellen von Farben aus Pigmenten in meinem Atelierchaos und dem ‚cleanen’ Arbeiten am Computer ist zu einer gesunden Arbeitsweise für mich geworden, die sich auch in einer räumlichen Trennung widerspiegelt.

Willst du ungeachtet dessen, dass das Malerische für dich im Vordergrund steht, mit bestimmten Reizthemen nicht auch provozieren? Wenn männliche Maler es heute noch wagen, Frauenakte als Sujet aufzugreifen, so ist das verpönt. Du als Frau darfst das natürlich. Mehr noch: Du erlaubst dir sogar einen sexistischen Touch.

Früher haben doch die männlichen Malerheroen hauptsächlich Frauen dargestellt, wenn ich nur an den obsessiven Picasso denke. Ich wolle schon gezielt einen Akt im Bild haben, der auch etwas Reißerisches bekommt. Es ist ja nahe am Kitsch mit den schrillen Farben und dann der gewissen Copacabana-Atmosphäre. In der Gesellschaft gilt schließlich immer noch: Sex sells! Auf vielen Werbeträgern sind oft nach wie vor zumindest halb entblößte Frauen dargestellt. Ein Nackedei-Mann gilt hingegen eher als abstoßend. Darauf verweise ich natürlich. Andererseits habe ich über die Malerei vermieden, dass die Frau zu exponiert ist, sondern durch die gestische Malerei etwas an der Oberfläche verschwindet. Auch die Schamhaare verändern sich in den Bildvarianten deutlich, sind bewusst mal stärker, mal weniger ausgeprägt.

Gibt es also einem feministischen Impetus?

In der Serie mit der Schaumgeborenen nicht unbedingt, aber bei einer vorangegangenen Reihe schon. Da ging es expliziter um Akte und um Homosexualität. Das war ein Zyklus, in dem ich in verschiedenen Szenen dargestellt habe, wie zwei oder drei Frauen den Liebesakt vollziehen. Ich wollte verschiedene Facetten zeigen: eine intime Szene, wo es etwas zärtlicher zugeht, dann gibt es eine in der Disco oder im Klo und dann eine mit einem Pferdekopf, der etwas Schweinisches oder auch sehr Männliches hat. Diese Serie hat natürlich viel mit meiner persönlichen Lebenswelt zu tun und mit der Frage: Wie wird man als homosexuelle Frau und Künstlerin wahrgenommen? In der Tat war ich auch schockiert von manchen Reaktionen, als ich im Münchner BBK die Bilder erstmals zeigte. Etliche Besucher waren echauffiert über den Liebesakt von zwei Frauen oder redeten verschämt erst gar nicht drüber. Und dann dachte ich mir: Das gleiche Publikum geht in die Pinakothek, zahlt einen gehobenen Eintrittspreis und schaut sich mit Wonne Bilder vom Rokoko an, wo es etwa mit den Schoßhündchen ganz anders zugeht. Ich wollte allerdings keine pornografischen Bilder schaffen, weshalb die Malerei immer im Vordergrund steht und man erst durch genaues Hinsehen die Motivik erkennt. Günther hätte ohnehin nur abstrakte Malerei darin gesehen, die für sich selbst spricht. Das Faszinierende an Malerei ist ja, wie sie einen anderen Zugang zur Welt öffnet— und dies macht letztlich auch ihre zeitgemäße Bedeutung aus. Sie lehrt uns das andersartige Sehen in Zeiten der allgegenwärtigen Bilderflut.

Wenn es um die eher intimere Porträtmalerei geht, kommt einem Elizabeth Peyton in den Sinn und wie sie Idole in eine sehr private Welt versetzt. Du entfaltest eine vergleichbare lyrische Qualität in manchen Bildern.

Ja, Peytons Bilder haben auch dieses Zärtliche und Poetische. Ich beziehe mich natürlich schon betonter auf Malerinnen. An der Münchner Akademie unterrichteten zu meiner Zeit sehr viele Männer und nur wenige Frauen und so suchte man sich unweigerlich externe Vorbilder. Klar gehört eine Cecily Brown und vor allem eine Peyton dazu. Auch weil ich mich viel mit Porträt beschäftige, war sie natürlich schon sehr prägend. Sie ist eine sehr gute Malerin und hat eine ganz eigene Bildsprache in dem doch engen Genre entwickelt. Peyton ist schon lange auf dem Feld tätig und trotzdem wiederholen sich die Bilder nicht. Gerade in den früheren Porträts erlaubte sie sich diesen träumerischen Blick, sie haben etwas Leichtes, aber auch zutiefst Melancholisches. Porträtmalerei ist für mich auch das Genre schlechthin.

Poetische Facetten einmal beiseite – du haust schon auch ordentlich auf die Pauke. War das nicht auch eine Strategie, um dich in der Männerdomäne der Münchner Akademie durchzusetzen?

Ich war schon immer eine Laute, meine Malerei an sich ist nicht zart, sondern meist schon groß im Format und drastisch im Ausdruck. Ohne Riesensauerei geht es beim Malen nicht ab, ich habe mir immer schon viel Platz verschafft. Als ich nach Glasgow ging, ließ ich mir 80 Kilo Pigmente in Kisten schicken. Ich war ganz erstaunt, was man alles ins Ausland verschicken kann. Damals hätte das digitale Arbeiten mir und dem Paketboten wohl einige Vorteile gebracht. Was für ein Kontrast zu den Kommilitonen dort in der Kunsthochschule, die brav vor ihren Tischchen mit all den Farbtuben saßen. Ich bin schon direkt nach dem Abitur, mit 19 Jahren an die Münchner Akademie gekommen. Da war ich naturgemäß noch etwas naiv und musste mich tatsächlich in den männlich dominierten Hierarchien erst behaupten. Erst in der jüngeren Zeit wurden zunehmend auch Professorinnen wie Jorinde Voigt berufen. Wer mich noch sehr beeinflusst hat, war übrigens Magdalena Jetelová. Sie konnte Tacheles reden und hat es geschafft, sich durch ihre gute Kunst und ihre Art durchaus Respekt zu verschaffen. Jetelová wurde ernst genommen von den ganzen Machos im Haus, war souverän und kompromisslos zugleich. Das fand ich beeindruckend.

In deinen jüngsten Bildern gibt es nun deutlich erkennbare Referenzen zu Altmeistern wie Cézanne oder Manet. Was bewegt dich, Ikonen wie die Badenden oder Frühstück im Grünen zu zitieren? Cézanne hat letztlich durch seine Platzhalter der Badenden die Malerei an sich ausreizen können.

Die Badenden gehören zu den Bildern, die sich unwiderruflich in den Kopf eingeprägt haben. Sie gehören zu den Top Ten der berühmten Kunstwerke, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Selbst wenn man sich mit Kunst nicht auskennt, hat man bestimmt schon einmal eine Abbildung von der Mona Lisa oder einen Botticelli gesehen. Ich spiele schon mit Ikonen oder auch Stereotypen der Kunst. Es scheinen sehr viele Klischees auf: der Akt, das Malermodell, die idyllische Landschaft. Als ich mir Picassos Demoiselles d’Avignon vornahm, habe ich die Damen aus ihrem vorherigen Bühnenaufbau in eine schöne Landschaft versetzt, wo sie sich selbst frönen. Bei Picasso sind es gesichtslose Modelle ohne Charakter. Ich möchte schon auch fröhliche Bilder schaffen, Bilder, die aus dem Herzen kommen. Weil ich in den letzten Jahren sehr viel an mir, an der Kunst und dem Künstlersein, an dem Unternehmen gearbeitet habe, bin ich eigentlich sehr optimistisch. Und das sollen die Bilder auch ausstrahlen. Günther Förg hat gesagt, Kunst könne auch schön sein. Das war in den Achtziger Jahren, als die Intention der Kunsttheorie eine ganz andere war, als schöne Kunst zu machen. Günther hat sich damit auch nicht viele Freunde gemacht. Bei aller Heiterkeit soll meine Malerei nicht oberflächlich sein, sie kann dennoch zum Nachdenken und Innehalten bringen. Die neuen Bilder entsprechen jedenfalls meinem Zustand im Moment – trotz Corona.

Was wäre, wenn sich die Stimmung ändern würde? Hätten dann deine Bilder auch einen anderen Tenor?

Bestimmt, ich hatte früher schon viel düstere Bilder. Es gab etwa eine Hominiden-Reihe, die von Arno Schmidts Roman Die Gelehrtenrepublik inspiriert war. Die Bilder waren sehr traurig gestimmt, hatten aber auch etwas Bizarres. Die mittlerweile schrillen Farben sind eine bewusste Entscheidung, die letztlich mit der Computer-Ästhetik zu tun hat. Ich habe mich zuvor stark mit dem Transhumanen-Thema auseinandergesetzt. Es gibt heute viele Menschen in ganz normalen Berufen, die abends nach Hause kommen, dann Yoga machen und sich anschließend an den Computer hocken, um Tutorials zu nutzen und Porträtmalerei am iPad zu lernen. Das ist absurd, aber auch ziemlich cool. Und man denkt sich: Digital Artist? Was ist das eigentlich heute? Wie verortet man sich in dem Szenario überhaupt als Malerin?

Interview: Birgit Sonna